Plebiszitäre Demokratie für das G9 in Baden-Württemberg
Wenn Bürger ehrenamtlich den Job der Politiker machen – dabei viele Hürden überwinden müssen und auch noch Extrarunden aufgebrummt bekommen. Das könnte den Gymnasiasten im Land zum Verhängnis werden.
Mittlerweile ist es der Elterninitiative G9 jetzt! BW klargeworden, warum bisher noch niemand in Baden-Württemberg das Quorum eines Volksantrags erfüllen konnte: die Hürden sind für den einzelnen Bürger, ohne Sponsoren oder Verbände im Hintergrund, unrealistisch hoch – es braucht 39.000 Unterschriften, je eine händisch pro vorgegebenem Formblatt, auf welchem dann noch von der Wohnortgemeinde die Wahlberechtigung des Unterzeichners bestätigt werden muss – aber damit ist es noch lange nicht getan:
Anfangs, also vor gut einem Jahr, schienen die grundsätzlichen Zuständigkeiten beim Land Baden-Württemberg für einen Volksantrag überhaupt nicht geklärt. Für ein Instrument, das sich an den Landtag richtet, sahen sich die ansonsten für Wahlen oder Volksbegehren verantwortlichen, im Innenministerium angesiedelten Stellen nicht zuständig. Allerdings gab es auch beim Landtag keinen Ansprechpartner, der beispielsweise die Städte und Gemeinden informierte, dass bei ihnen Formblätter des G9-Volksantrags zum Bescheinigen der Wahlberechtigung eingehen würden. Diese ärgerliche “Zuständigkeitslücke“ ging zu Lasten der Initiatorinnen, kostete viel Zeit und Nerven und konnte nur mit zahllosen Mails und Telefonaten ausgeglichen werden.
Aber man muss Verständnis haben, dieses Verfahren des Volksantrags wurde schließlich erst 2015 gesetzlich implementiert.
Die unzureichende Information der Sachbearbeiter in den Ämtern führt dazu, dass engagierte Bürger, die sich für Kinder einsetzen möchten, häufig abgewiesen und Formblätter nicht bearbeitet werden. Ordnungs- oder Schulämter reglementieren immer wieder das öffentliche Sammeln der Unterschriften für den Volksantrag, indem sie beispielsweise die Aktiven am Wochenende auf ausgestorbene Plätze in der Peripherie verweisen, anstatt sie auf gut besuchten Familienveranstaltungen oder Festen im Stadtzentrum sammeln zu lassen. Diese gefühlte Stigmatisierung der plebiszitären Mitbestimmung gipfelte darin, das bloße Thematisieren des Volksantrags bei Elternabenden zu verbieten.
Ängstliche Gemüter beugen sich dieser autoritären Bevormundung, nicht nur aus Sorge, das eigene Kind könnte in der Schule Schwierigkeiten bekommen. Auch wird man als direktdemokratisch aktiver Bürger – leider und natürlich völlig zu Unrecht – häufig in einem Atemzug mit der AfD oder sogar den Reichsbürgern genannt.
Nur die Robusteren machen also weiter.
Nach immerhin neun Monaten haben die meisten Sachbearbeiter in den Ämtern verstanden, dass nicht jeder Unterzeichner nur persönlich mit Ausweis lediglich sein eigenes Formblatt bescheinigen lassen darf, dass nicht alle Vornamen angegeben sein müssen (das Feld auf dem vom Land vorgegebenen Formular ist mit „Vorname“ im Singular beschriftet) oder dass man sich beim Ausfüllen auch schon mal verschreiben kann und dies dann vor dem Unterschreiben korrigieren darf.
Die Erleichterung bei der Sammelstelle von G9 jetzt! hierüber hielt allerdings nur bis zur genauen Kontrolle der amtlichen Bescheinigungen auf den Formblättern: fehlende oder widersprüchlich doppelt gesetzte Kreuze, nicht gesiegelte Tipp Ex-Korrekturen, vergessene Unterschriften, kein Datieren der Prüfung, unbegründet geäußerte Bedenken… Dies alles mit der Aussage des Juristen des Landtags im Hinterkopf, dass man sich alle 39 000 Formblätter selbstverständlich sehr genau anschaue und die Anerkennung der einzelnen Bögen den Prüfenden obliege. Es läge in der Verantwortung der Initiatorinnen, dass nur formal korrekte Formblätter eingereicht werden.
Und wieder müssen die beiden Initiatorinnen telefonieren und unzählige Bögen zur Korrektur nochmals auf eigene Kosten an die Ämter oder an die Unterzeichner zurücksenden. Als wäre das ganze analoge Prozedere nicht ohnehin aufwändig und kostenintensiv genug. Die Landesregierung reagierte auf den verspürten Druck durch den Volksantrag mittlerweile mit dem Initiieren eines politisch unverbindlichen Bürgerforums und eröffnet damit einen Nebenschauplatz, der die Menschen ablenkt und verunsichert. Manch einer sieht hierin schon einen Erfolg des Volksantrags und beendete viel zu früh das Sammeln. Nicht nur G9 jetzt! interpretiert dies als strategischen Schachzug.
Wenn die Aktivität der Bevölkerung weiter abnimmt, jeder sich sicher ist, dass das Quorum sowieso erreicht wird, nicht selbst aktiv wird, indem er unterschreibt UND indem er am besten selbst weitere Unterschriften akquiriert, könnte sich der Volksantrag als Sisyphusarbeit erweisen und am Ende krachend scheitern.
Bange machen gilt nicht und Aufgeben war noch nie eine Option – die Initiatorinnen werden am 13. November dem Landtag alle eingegangenen Formblätter übergeben – ob mit oder ohne Sackkarre. Hierfür wird weiter mit vereinten Kräften mobil gemacht. Um in Baden-Württemberg die Premiere feiern zu können, erstmalig einen Volksantrag in den Landtag einzubringen, fehlen jedoch noch viele gültige Unterschriften. Weiterhin wird jede Stimme gebraucht – schwarz auf weiß auf Papier.
Dies alles für ein G9, das von der überwiegenden Mehrheit der Eltern gewünscht wird und in den anderen westdeutschen Flächenländern längst wieder eingeführt wurde.
Hier müssen Bürger ehrenamtlich gegen Windmühlen kämpfen, weil Politiker ihren Job nicht machen.
Angesichts dieser Posse fehlen einem die Worte….! Oder man schluckt sie höflichkeitshalber herunter.