Etikettenschwindel, aber auch der hoffnungsvolle Beginn einer Diskussion
Die „flexible Oberstufe“ des Herrn Poreski ist weder umsetzbar noch löst sie die Probleme der G8-Gymnasiasten!
Was hier so vielversprechend als “Wahlfreiheit zwischen G8 und G9” gelobt oder als “kleine Bombe” bezeichnet wird, die Herr Poreski platzen lässt, entpuppt sich auf den zweiten Blick als fauler Kompromiss. Allerdings wurde hiermit immerhin die Debatte zur Struktur des Gymnasiums eröffnet, die man laut dem Koalitionsvertrag eigentlich gar nicht führen dürfte.
Bevor man die fehlende Wirksamkeit des hier vorgestellten Modells konkreter erörtert, muss Folgendes klargestellt werden: Die flexible Oberstufe am allgemeinbildenden Gymnasium – als von den GRÜNEN ins Spiel gebrachter einsamer Sonderweg Baden-Württembergs – entspricht formal nicht den aktuell gültigen Vorgaben der Kultusministerkonferenz. Folglich kann sie nicht ohne Beschluss dieses Gremiums eingeführt werden.
Darüber hinaus versagt das dargestellte Konzept der flexiblen Oberstufe am allgemeinbildenden Gymnasium auch inhaltlich: Es löst kein einziges der G8-bedingten Probleme unserer Kinder.
Bei der Verkürzung der Gymnasialzeit auf 8 Jahre sparte man in der Sekundarstufe 1 (Klasse 5-10) ein Schuljahr ein. Folglich kam es besonders in der Mittelstufe zu einer massiven Verdichtung der Lerninhalte und zu einer Aufstockung der Stundenpläne mit den bekannten negativen Folgen für das Lernen und die außerschulischen Freiräume zur Entwicklung, gerade auch in der Pubertät. Zudem werden die Heranwachsenden zu früh mit abstrakten Themen konfrontiert und können diese oft noch gar nicht begreifen. An diesen seit Einführung des G8 angeprangerten Problemen setzt das Modell von Herrn Poreski leider überhaupt nicht an, sondern bietet eine Wahlfreiheit G8/G9 erst ab Klasse 11 – nach einer weiterhin im G8-Turbomodus durchgepeitschten Unter- und Mittelstufe, wenn das Kind also sprichwörtlich bereits in den Brunnen gefallen ist.
Des Weiteren muss man sich fragen, was mit den Schülern passiert, die sich coronabedingt in der Grundschule oder zu Beginn ihrer Gymnasialzeit gar nicht das nötige Fundament aneignen konnten. Sie müssen diese Defizite weiterhin bis in die Kursstufe schleppen, statt sie in der Unter- bzw. Mittelstufe aufzuholen, um dann entspannter die wichtige Kursstufe und die anschließenden Abiturprüfungen angehen können – wie die Gymnasiasten in den meisten anderen Bundesländern.
Statt eines Mehr an Zeit in der Mittelstufe soll es eine „stoffliche Entlastung“ geben. Heißt das, zu den G8-bedingten Stundenkürzungen kommen noch weitere Stoffstreichungen hinzu?
Damit wäre man beim nächsten Problem des G8, der beeinträchtigten Bildung und Studierfähigkeit. Auch hier bietet die flexible Oberstufe also keine maßgebliche Verbesserung.
Natürlich finden auch Eltern es wünschenswert, das Gymnasium nach aktuellen pädagogischen Erkenntnissen weiterzuentwickeln, aber grundsätzlich gilt, dass „es in der Pädagogik wenige Faktoren gibt, die so entscheidend sind für Bildungs- und Lernprozesse wie die Zeit“, so Bildungsforscher Heinz-Elmar Tenorth. H-E Tenorth, Deutschlandfunkkultur
Eltern und Lehrkräfte wissen auch, dass in den Schulstunden zwischen 15 und 17 Uhr kaum mehr etwas ankommt im Hirn der pubertierenden Kinder – egal wie pädagogisch innovativ der Stoff in Physik oder Mathe auch vermittelt wird.
Nicht zuletzt erschwert diese schulstrukturelle Extrawurst von „the Länd“ es den Familien, mit einem Zu- oder Wegzug flexibel auf berufliche Anforderungen zu reagieren.
Dennoch interpretieren wir diesen Vorstoß als positives Signal, denn die GRÜNEN nehmen nun doch die durch den Koalitionsvertrag eigentlich unterbundene Diskussion zum Thema G8 /G9 auf.
Allerdings signalisiert das vorgestellte Konzept – als G9-Mogelpackung und als mögliche Vorbereitung in Richtung Einheitsschule – den Eltern in Baden-Württemberg auch sehr nachdrücklich, dass sie ihre Anstrengungen für den G9-Volksantrag in den nächsten Monaten noch intensivieren müssen.
Gerne erörtern wir zusammen mit Herrn Poreski und anderen bildungspolitisch Verantwortlichen der Landesregierung und der Opposition, welche für die Gymnasien sinnvolle und schnell umsetzbare Lösung möglich wäre. Denn unsere Kinder, die im System stecken, haben nicht die Zeit, auf eine Entlastung erst in einer der nächsten Legislaturperioden zu warten!
Anja Plesch-Krubner und Corinna Fellner
für G9 jetzt! BW