Leserbrief von G9 jetzt! BW an BZ


Leserbrief zum BZ-Interview vom 09.06.2023 mit Herr Denzel: Die Gymnasien würden in die Knie gehen”


Link zum BZ-Interview: Kirchzartener Realschulleiter zu G9: „Die Gymnasien würden in die Knie gehen“ – Kirchzarten – Badische Zeitung (badische-zeitung.de)

Als Initiatorinnen des Volksantrags für G9 möchten wir Herrn Denzels Stellungnahme gerne folgendermaßen kommentieren:

Zahlreiche Eltern und wir setzen uns seit mehr als sechs Jahren in Baden-Württemberg dafür ein, dass die 2004 fehlgeschlagene Gymnasialreform G8 rückgängig gemacht wird, da die Verkürzung der Schulzeit nur Nachteile für die Gymnasiasten mit sich brachte. Aus dieser Erkenntnis heraus führten mittlerweile alle westdeutschen Flächenländer wieder G9 ein – übrigens kam es im Saarland, das erst kürzlich umstellte, NICHT zu dem von Herr Denzel befürchtete Sturm auf die Gymnasien.

Die zunehmende Vereinheitlichung des Abiturs führt nun zu einer weiteren Benachteiligung unserer Gymnasiasten im Ländle. Die Kultusministerkonferenz hat beschlossen, im schriftlichen Abitur auf zunehmend mehr Aufgaben aus einem bundesweiten Pool zuzugreifen. BadenWürttembergs Schüler am allgemeinbildenden Gymnasium müssen diese Prüfung ein Jahr früher ablegen als ihre G9-Kollegen aus anderen Bundesländern – diese sind mittlerweile natürlich in der Überzahl – und anschließend auch noch um die gleichen Studien- und Ausbildungsplätze konkurrieren.

Laut einer forsa-Befragung wünschen sich in BaWü über 90 Prozent der Eltern das neunjährige Gymnasium mit freiwilliger G8-Option als Regelweg. Und zwar, weil sie die Nachteile des Turbogymnasiums und dessen Auswirkungen auf unsere Kinder täglich erleben.
Herr Denzel aber findet das „in Teilen rücksichtslos“ – übrigens sei hier betont, dass uns bei diesem zeitaufwändigen ehrenamtlichen Engagement kein Eigeninteresse unterstellt werden darf, denn viele Kinder unserer Aktiven würden leider nicht mehr in den Genuss einer möglichen Umstellung auf G9 kommen. Die lobbybedingten Argumente liegen hier wohl eher auf Seiten des Realschulleiters.
Nach seiner Aussage sollten wir Eltern also an das ganze Schulsystem denken, wenn unsere Kinder unter der massiven Belastung von 36 Schulstunden pro Woche ächzen, den Stoff unter Druckbetankung wenig nachhaltig für die Klausur am nächsten Tag auswendig lernen – um ihn genauso schnell wieder zu vergessen, ihre Hobbys aufgeben müssen….?

Diesen Vorwurf weisen wir vehement zurück. Wir sind es leid, von Lobbyisten und Ideologen als unsolidarisch oder elitär attackiert zu werden. Wir finden, dass alle Kinder an jeder Schulart unter den bestmöglichen Bedingungen lernen können sollten. Und ermutigen die Eltern an allen Schulen Baden-Württembergs, sich dafür stark zu machen – in friedlicher Koexistenz der Schulformen untereinander und ausschließlich mit den Bedürfnissen der jeweiligen Schüler im Fokus. Denn unsere Schüler sind schutzbedürftige junge Menschen und keine Manövriermasse im Schulsystem oder Anmeldenummern an den jeweiligen Schulen.

Herr Denzel, wir können einige Ihrer Sorgen zu den geschilderten Problemen an den Realschulen nachvollziehen, allerdings wäre es sehr unfair und schlichtweg unnötig, diese mit der Beibehaltung des ungerechten Selektions- und Lenkungsmechanismus des bundesweit gescheiterten G8 lösen zu wollen. Mit Ihrem Background als Pädagoge und der Tatsache, dass auch Sie bei Ihrer Einführung gegen die Gymnasialzeitverkürzung waren, vertrauen wir darauf, dass Ihnen gewiss konstruktivere und „rücksichtsvollere “ Maßnahmen einfallen, um den von Ihnen geschilderten Bedenken entgegenzuwirken.

Im Übrigen sind wir – auch hierzu – bereits im offenen und vertrauensvollen Austausch mit dem Realschullehrerverband. Zudem fordern wir ein qualitativ hochwertiges, zeitgemäß reformiertes G9 am Gymnasium, das wieder zu einer breiten Studierfähigkeit führt – kein leichteres Abitur für alle – und würden uns auch der Diskussion z.B. über eine faire und transparente Form der Grundschulempfehlung nicht verschließen.

Die Durchlässigkeit unseres Schulsystems finden wir wichtig und richtig. Und wer sollte es besser verstehen als Sie, dass die von Ihnen genannten neunjährigen Wege natürlich für einige Schüler sinnvoll sind, für die meisten Eltern jedoch keine akzeptable Alternative für ihre von Anfang an gymnasialempfohlenen Kinder darstellen.

Mit herzlichen Grüßen
Anja Plesch-Krubner und Corinna Fellner
für G9 jetzt! BW